Frankfurter Organismische Theorie und Darwinismus

Der Gehalt der Darwinistischen Theorie

In der klassischen Darwinischen und der heute gängigen Synthetischen Evolutionstheorie versteht man unter dem Begriff Evolution den allmählichen unumkehrbaren Wandel der Arten durch Generationen und Zeiten.

Die Aussage „Wandel der Arten“ ist der entscheidende Unterschied zur Frankfurter Theorie, in der es heißt „Wandel der Organismen“. Art und Oganismus sind auf der biologischen Ebene verknüpft, aber sie sind keineswegs dasselbe. Wissenschaftstheoretisch sind die beiden Statements zweierlei Gegenstands-Bestimmungen, und die beiden Theorien haben somit unterschiedliche Geltungsbereiche.

Im 19. Jh. ging es um die Frage, ob die Arten konstant oder langfristig veränderlich seien. Lamarck hatte bereits 1809 die allmähliche Veränderung der Arten angenommen: Jede Art ist durch Urzeugung entstanden und erlangte im Laufe von Generationen ihre derzeit gegebene Form. Er hatte eine Theorie des Wandels, nicht aber der Entstehung und der Abstammung der Arten entwickelt.

Die Erklärung für sie kam erst durch Darwin. Er schrieb den Inhalt seiner Theorie in den Titel seines Buches (1859): The Origin of Species by means of Natural Selection.

Darwin argumentierte aufgrund der Züchterpraxis. Die Individuen einer Art sind nicht identisch gleich, sondern sie sind Varianten innerhalb einer Art. Darwin sah die Naturvorgänge: die Vererbung von Merkmalen, Überproduktion von Nachkommen, Überleben der Lebenstüchtigen, und Darwin sah, wie gut in der Natur alles zueinander passt. Offensichtlich haben sich die Lebewesen aneinander und an Erde, Luft und Wasser, das heißt an ihr Umwelt, angepasst. In der Umwelt entscheidet sich, wer „fit for life“ ist. Selektion und Umwelt-Anpassung sind somit eng verbunden und werden in dieser Vorstellung zur Triebfeder der Evolution. Es ist keine Verkehrung zu sagen: die Umwelt formt die Arten, – so gesehen von Charles Lyell, der konstatierte: Wenn die Erde wieder ein Klima hätte wie im Jura, so gäbe es auch wieder Dinosaurier.

Darwin hatte damit eine Selektionstheorie geschaffen.

Zudem: Da sich die Arten ausbreiten und in weitere Räume vordringen, können sie sich an den Rändern in zwei oder mehr Arten aufspalten. Der Ursprung der Arten – the origin of species — sind sich teilende und wandelnde Arten. Darwin hatte damit zusätzlich zur Selektionstheorie eine Abstammungstheorie entwickelt.

In der ersten Hälfte des 20. Jh. wurden die molekularen Grundlagen der Vererbung und des Wandels der Arten entdeckt. Der klassische Darwinismus konnte diese Ergebnisse integrieren, und es entstand daraus die moderne Synthetische Evolutionstheorie.

Die Synthetische Theorie hat wesentliche Erkenntnisse über Populationsdynamik und Diversifizierung der Arten gebracht. Sie bewegt sich dabei immer auf dem Feld der Arten, womit der Geltungsbereich der ursprünglichen Darwinschen Theorie beibehalten ist.

Die Entstehungsgeschichte der Synthetischen Theorie ist gut erforscht und mehrfach dargestellt (Mayr 1984, Junker & Engels 1999, Junker 2004).

Darwinismus in der Kritik

Die Geltungsbereiche „Bauplan – Evolution“

Mit der Darwinistischen Theorie lässt sich der Wandel der Arten erklären, aber keineswegs die Herkunft der Baupläne des Tierreichs.

Gould nennt die Ebene der Arten, auf der die Synthetische Theorie arbeitet, „Mikroevolution“ und stellt fest, dass es von hier aus keine Aussagen zur „Makroevolution“ gebe, nämlich zur Bauplan-Evolution. Entsprechende kritische Hinweise gab schon in den 1930er Jahren von Ernst Cassirer (s. Weingarten 1993) und Wuketits (1988). Mocek (1988) sieht „Das Werden der Form“ im Darwinismus nicht erklärt. Bonik & Gutmann (1981) beließen es nicht bei dieser Kritik und entwickelten die Kritische Evolutionstheorie, die Grundlage der Frankfurter Organismischen Theorie. Edlinger (2009) geht in seiner kritischen Würdigung des Darwinismus noch über diesen Punkt hinaus und untersucht die grundlegenden Positionen der Synthetischen Theorie, vor allem den Anpassungs-Begriff.

Art – Arten

Die Art ist eine Gemeinschaft einer Vielzahl von Individuen. Alle Versuche, eine naturwissenschaftliche und für alle Lebewesen zutreffende Definition des Begriffs „Art“ zu erstellen, sind gescheitert. Schon Darwin war sich der Unschärfe des Begriffs „Art“ bewusst. Letztlich bleibt die Feststellung, dass eine Art das ist, was die Zoologen oder Botaniker dafür halten, „species are cultural kinds“ (Gutmann & Janich 1998). Das heißt: Die „Art“ als zentraler Begriff der Darwinistischen Evolutionstheorie ist naturwissenschaftlich nicht zu fassen, er bleibt auf der Ebene des Naturalismus. Das gilt auch dann, wenn man nicht von Arten, sondern von Populationen und vom Wandel ihrer durch Gene gesteuerten Merkmalen spricht.

Selektion

Der Begriff Selektion stammt aus Darwins Züchterpraxis, er ist ein Aktivum, denn er bezeichnet eine Handlung. Im Darwinismus nimmt die Umwelt die Rolle des handelnden Selektors ein. Allerdings ist diese Zuschreibung eine Metapher, denn in der Natur gibt es keine solche gezielt handelnde Instanz. Tatsächlich scheitert der Organismus ggf. an seiner eigenen Unzulänglichkeit, – (siehe Kapitel „Der Inhalt der Frankfurter Evolutionstheorie“).

Anpassung

Diesen Begriff bezogen Darwin und Wallace auf das Verhältnis von Individuum und Art zur Umwelt, obwohl sie selbst die Erklärungs-Schwierigkeit dieses Begriffs sahen, u.a. an den Paradiesvögeln Neuguineas, die in gleicher Umwelt durchaus unterschiedliche Arten gebildet hatten. Die Kritiker Webster und Ho sagen: der Anpassungs-Gedanke sei ein Stück Naturtheologie, aus der Darwin sich nicht ganz befreien konnte.

Weil der Begriff vage ist, konnte er in geradezu inflationärer Weise gebraucht werden, wie von Edlinger (2009) kritisch zusammengestellt. Zwei Vorschläge wurden gemacht, den Anpassungsbegriff fallen lassen und statt dessen zu reden von Lebensfähigkeit (Edlinger 2009) oder von Spezialisierung (Grasshoff 2014). Diese beiden Begriffe beziehen sich auf die Körperkonstruktion, ihre Funktionsfähigkeit und ihre Beziehungen zur Umwelt.

In unserer modernen Sichtweise sind es die mechanischen und physiologischen Eigenschaften, die darüber bestimmen, in welche Lebensräume die Organismen eindringen können und dabei doch lebensfähig sind; sie spezialisieren sich auf eine bestimmte Lebensweise. Sie beeinflussen ihre Umgebung durch ihre räumliche Anwesenheit und ihren Stoff- und Energie-Umsatz. Sie sind die Subjekte der Evolution und nicht die Objekte von Umwelt-Ansprüchen.

Genotyp — Phänotyp

In der Synthetischen Theorie hält man das Individuum für das Ergebnis der auf den Genen gespeicherten Information, es ist dessen Erscheinungsform, der „Phänotyp“ des „Genotyps“. Evolution ist so zu definieren als Wandel von Genomen. In diesem extremen Reduktionismus — „The Selfish Gene“ (Dawkins) – sind die chemischen Umsetzungen und der Aufbau der Strukturen auf ein einziges Stellglied bezogen, nämlich die Gene. Die Körperkonstruktion mit ihren mechanischen Bedingungen ist in dieser Sichtweise völlig aus dem Blickwinkel geraten. Deswegen kann die Synthetische Theorie keine Aussage zum Form-(Konstruktions-)Wandel machen und die Frage nach dem Werden der Form und der Makroevolution bleibt hier unbeantwortet.

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